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Titel
Hofhandwerker in Weimar und Jena (1770–1830). Ein privilegierter Stand zwischen Hof und Stadt


Autor(en)
Pöhnert, Katrin
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Dobras, Stadtarchiv Mainz

Die im Rahmen des SFB „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ an der Universität Jena entstandene Dissertation widmet sich mit den Hofhandwerkern einem Personenkreis, der in der Hof- und Residenzen-, aber auch der Zunftforschung bislang kaum Beachtung gefunden hat. Obwohl Michael Stürmer bereits 1979 in einer „Herbst des alten Handwerks“ betitelten Quellensammlung den Hofhandwerkern ein eigenes Kapitel gewidmet und sie als innovative Unternehmer in einer Welt verkrusteter zünftischer Strukturen gefeiert hatte, freilich ohne seine These gründlicher zu untermauern1, geriet diese zwischen Hof und Stadt stehende Gruppe der frühneuzeitlichen Privilegiengesellschaft nicht in den Fokus der Historiker. Eher interessierten und interessieren sich für sie die Kunsthistoriker, die in Auseinandersetzung mit Martin Warnkes Buch über die Hofkünstler stärker die sozioökonomischen Bedingungen künstlerischen Schaffens zu berücksichtigen beginnen und dabei vergleichend auch die Situation der Hofhandwerker miteinbeziehen.2 Von daher mag es nicht verwundern, dass mit Herbert Haupt ein auch im musealen Bereich tätiger Historiker und Archivar das Hofhandwerk am Beispiel der kaiserlichen Residenzstadt Wien erstmals einer systematischen Analyse unterzogen und dazu 2007 ein Handbuch mit insgesamt 4.444 Kurzbiographien publiziert hat.3 Allerdings versteht sich Haupts Werk nicht primär als sozialgeschichtliche Studie. Zudem fehlte bislang auch der Vergleich mit anderen frühneuzeitlichen, zumal kleineren Residenzstädten, die für das Reich viel typischer waren als die kaiserliche Metropole.

Beide Defizite werden nun durch das Buch von Katrin Pöhnert weitgehend behoben. Sie hat für den Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach während der Sattelzeit auf der Basis von 292 Biographien sowohl von Titular- als auch von fest besoldeten Hofhandwerkern deren Anstellungsverhältnisse, ihre soziale und regionale Herkunft, ihre rechtliche Stellung, ihr Heiratsverhalten, ihren Besitz sowie ihre Beziehungen zu den Zünften erschöpfend analysiert. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre von 1770 bis 1830. Damit schließt er die letzten Jahre der Regentschaft Anna Amalias sowie die beiden ersten Regierungsjahre Carl Friedrichs, des Sohnes von Carl August, ein, um auch die Frage nach der Umbesetzung von Hofhandwerkerstellen infolge eines Herrschaftswechsels beantworten zu können. Dass es hier keine Zäsuren gab, entspricht dem relativ statischen Bild, das Pöhnert für diese 60 Jahre zeichnet, in denen das Weimarer Hofhandwerkertum seinen Zenit erreichte und überschritt. Hatten unter der Regentschaft Anna Amalias die Hofhandwerkerstellen von 60 auf 111 zugenommen, so sank ihre Zahl in den folgenden Jahrzehnten „langsam, aber stetig“ (S. 24). Die Abnahme erklärt Pöhnert vor allem mit der späten Durchsetzung der Reichshandwerksordnung von 1731 im Rahmen des ergänzenden Reichsgesetzes von 1772, wodurch sich die intendierte Lockerung restriktiver Zunftbestimmungen auch in der Praxis auszuwirken begann. Insbesondere das Recht, mehr Gesellen und Lehrlinge zu beschäftigen, als die Zunftartikel es erlaubten, stand fortan nicht mehr nur den Hofhandwerkern, sondern allen Zunfthandwerkern zu. Dass die Sachsen-Weimar-Eisenacher Hofhandwerker zur Zeit Carl Augusts auch nicht mehr von einer generellen Steuer- und Abgabenfreiheit profitierten, minderte zusätzlich die Attraktivität einer Hofhandwerkerstelle. Gleichwohl scheint das Hofhandwerkertum in Weimar offensichtlich nie ins Kreuzfeuer kameralistischer Kritik geraten und schon gar nicht seine Aufhebung ernsthafter diskutiert worden zu sein: Vor dem Hintergrund, dass Kaiserin Maria Theresia zur Förderung von Konkurrenz und wirtschaftlicher Prosperität in Wien bereits 1768 alle Hoffreiheitsprivilegien abgeschafft hatte, ist dies durchaus erstaunlich.

Zu einem der wichtigsten Resultate von Pöhnerts flüssig und anschaulich geschriebenem Buch zählt, dass nicht nur die weniger privilegierten Titularhofhandwerker fast durchweg, sondern auch die fest am Hof angestellten und besoldeten Hofhandwerker großenteils einer Zunft angehörten – die Hofhandwerker höhlten also das Zunftsystem mitnichten aus, sondern strebten vielfach sogar aktiv eine Zunftmitgliedschaft an. Als Grund führt Pöhnert neben der Sorge um eine Absicherung im Falle von Krankheit oder Unfällen nicht zuletzt die Notwendigkeit an, dass ein Hofhandwerker auf die Zustimmung und das Wohlwollen der Zunft angewiesen war, wenn er seinen Sohn ausbilden oder überhaupt Lehrlinge bzw. Gesellen beschäftigen wollte. Mit dieser Verankerung im bürgerlichen und zünftischen Milieu korrelierte das Heiratsverhalten der Hofhandwerker: Zwar ehelichten sie auch Frauen aus dem mittleren Hofpersonal und Verwaltungsbeamtentum, in der Mehrzahl stammten diese aber aus Handwerkerfamilien, insbesondere dann, wenn der spätere Hofhandwerker auf die Hilfe seiner Ehefrau angewiesen war, um eine Werkstatt gründen bzw. eine Hofhandwerkerstelle erlangen zu können.

Indem Pöhnert diese sozialen Verflechtungen aufzeigt, nimmt sie den Hofhandwerkern den Nimbus des Außergewöhnlichen, der ihnen in der Literatur meist undifferenziert zugesprochen wurde, und holt sie gewissermaßen auf den Boden des Gewöhnlichen zurück. Skeptisch gegenüber der These vom Hofhandwerkertum als Instrument herrschaftlicher Wirtschaftspolitik weist Pöhnert vielmehr nach, dass eine Aushöhlung des Zunftsystems durch das Hofhandwerkertum auch von landesherrlicher Seite nicht gewünscht war. Nur wenige Weimarer Hofhandwerker stachen aus der Masse hervor und konnten mit ihren technischen Innovationen auf die besondere Unterstützung des Herzogs zählen. „Die meisten […] erledigten ihre Arbeit wie ein normaler Zunftmeister und hegten keine weitergehenden Ambitionen. Sie wollten durch den Hoftitel lediglich einige Privilegien gewinnen, sich ein wenig von ihren Mitmeistern abheben.“ (S. 331)

Mit ihren überzeugenden Ergebnissen stellt Pöhnert die Forschung zu den Hofhandwerkern auf eine ganz neue Grundlage und leistet einen wichtigen Beitrag zur Residenzenforschung, die sich neuerdings nicht mehr auf den Fürsten und seinen Hof, sondern auf die Residenzstädte als Orte „einer untrennbaren Symbiose“ von bürgerlicher und adlig-höfischer Lebenswelt konzentriert.4 Die Frage, inwieweit ihre Ergebnisse Allgemeingültigkeit beanspruchen dürfen, kann jedoch erst beantwortet werden, wenn weitere Studien zu Residenzstädten anderer Territorien vorliegen. Zu untersuchen wäre dann auch, ob die weitreichende Integration der Hofhandwerker in die städtisch-bürgerliche Gesellschaft erst ein Phänomen des späteren 18. Jahrhunderts darstellte oder ob sich diese Entwicklung bereits in den Jahrhunderten davor abzeichnete. Für solche weiteren Forschungen bietet die wegweisende Studie Pöhnerts eine überaus anregende Vergleichsbasis.

Anmerkungen:
1 Michael Stürmer, Herbst des Alten Handwerks. Quellen zur Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts, München 1979, S. 225–239 u. 250-252. Siehe auch ders., Höfische Kultur und frühmoderne Unternehmer. Zur Ökonomie des Luxus im 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 229 (1979), S. 265–297.
2 Siehe z.B. Susan Tipton: [Tagungsbericht zu:] Civic Artists and Court Artists (1300–1600) (Paris, INHA, Centre André Chastel, 19. – 21.06.2014. In: H-ArtHist, 12.10.2014. Letzter Zugriff 05.08.2015.<http://arthist.net/reviews/8637>. Wichtige Ergebnisse dürfte hier das von Jens Fachbach betreute, am Trierer Lehrstuhl für Kunstgeschichte angesiedelte Projekt der Edition der archivalischen Quellen der am kurtrierischen Hof von 1629 bis 1794 tätigen Hofkünstler und Hofhandwerker erbringen: Jens Fachbach, Hofkünstler und Handwerker am kurtrierischen Hof in Koblenz/Ehrenbreitstein 1629–1794. Zu einem laufenden Forschungsprojekt, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, NF: Stadt und Hof 1 (2012), S. 51–57.
3 Herbert Haupt, Das Hof- und hofbefreite Handwerk im barocken Wien 1620 bis 1770. Ein Handbuch (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 46), Innsbruck 2007.
4 Werner Paravicini in seinem Vorwort zu Jan Hirschbiegel / Werner Paravicini / Jörg Wettlaufer (Hrsg.), Städtisches Bürgertum und Hofgesellschaft. Kulturen integrativer und konkurrierender Beziehungen in Residenz- und Hauptstädten vom 14. bis ins 19. Jahrhundert (Residenzenforschung 25), Ostfildern 2012.

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